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Chasse-Spleen culinaire – Kochen gegen den Verdruss

Chasse-Spleen – was verbirgt sich denn bitte schön hinter diesem Begriff? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, muss man einen kleinen Ausflug in die französische Literaturwissenschaft machen.

Als Spleen wird nämlich dort nicht etwa der kleine Tick oder die notorische Marotte einer Person bezeichnet. Der Begriff Spleen ist vielmehr ein Schlüsselbegriff der Fleurs du Mal, Charles Baudelaires berühmt-berüchtigtem Gedichtband aus dem Jahr 1857. In seinem lyrischen Hauptwerk beschreibt der Dichter die seelischen Befindlichkeiten des modernen Menschen, dessen Gefühlswelt oft zwischen Schwermut, Langeweile und einem schwer zu definierenden Unbehagen hin und her schwankt. Nun sind diese Gedichte mehr als 160 Jahre alt, aber ihr Inhalt erscheint heute nicht weniger aktuell als im 19. Jahrhundert. Empfinden wir in Zeiten von Corona-Pandemie, Lockdown, Homeschooling und Social Distancing bisweilen nicht ähnlich? Leiden wir gegenwärtig nicht auch unter einer gewissen Entfremdung, einem melancholischen Blues, einem vielschichtigen Verdruss der Neuzeit?

Beantworten wir diese Frage mit einem „Ja“, dann liegt es wohl auch in unserer menschlichen Natur, ein Gegenmittel gegen solch ein Unwohlsein zu finden. Wir fragen uns, was kann man tun, um dem Spleen, dem Blues zu entkommen?

Hier kommt nun der zweite Teil unseres besonderen Begriffes aus der Überschrift ins Spiel. Das Verb chasser bedeutet im Französischen nämlich (ver-)jagen, und so erschließt sich allmählich der Sinn des Wortes Chasse-Spleen. Es steht für Mittel und Wege, der Tristesse unseres Alltags entfliehen zu können, für eine Art von Eskapismus in Räume, in denen wir wieder Gemeinsamkeit, Zusammengehörigkeit, Sinnlichkeit, Freude empfinden können – wo wir also wieder zum sozialen, lebenbejahenden Wesen „Mensch“ werden.

Ein rührendes Beispiel für dieses Phänomen entstand mitten aus dem Distanzunterricht heraus, wo SchülerInnen der Klassen 8a und 8b aus einem eigentlich nur am Rande erwähnten und fakultativ formulierten Arbeitsauftrag, nämlich sich auf die Suche nach französischen Rezepten zu machen und diese eventuell zu Hause nachzukochen, ein wunderbar produktives, erfrischendes und zugleich interkulturell wertvolles Projekt auf die Beine stellten. Viel mehr SchülerInnen als erwartet recherchierten in der Faschingswoche nach typisch französischen Spezialitäten aus verschiedensten Regionen, übersetzten Originalrezepte, schrieben Einkaufslisten, belagerten die heimische Küche, kochten, schmorten, buken, brieten, brutzelten zahlreiche französische Leckereien … und bescherten schließlich ihren Familien und sich selbst konviviale Momente des Genusses und der Freude. Wie schön, dass Fremdsprachenunterricht im digitalen Homeschooling auch solche wunderbar analogen Ergebnisse hervorzubringen vermag. Prädikat: „Pädagogisch, kulinarisch und menschlich besonders wertvoll“!

Zum Nachbacken (und etwas Französisch Lernen): Rezept für eine "tarte aux pommes" (Apfeltörtchen)

PS: Chasse-Spleen ist übrigens auch der Name eines exquisiten französischen Weingutes im Bordelais. Warum dieses Château, die Heimat großer Médoc-Weine, wohl genau diesen Namen trägt? Die Antwort liegt jetzt wohl auf der Hand …

OStRin Michaela Kraus
Fachleiterin Französisch