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Kunst am Gymnasium Burgkunstadt: Tränen in Holz geschnitzt

Was macht ein Künstler mit all seinen Kunstwerken, wenn er ihnen keinen adäquaten Platz bieten kann? Er sucht nach einem passenden Ort, an dem sie auch betrachtet werden können. Umso bedeutender ist dies bei Stücken, die nicht nur einen ästhetischen Wert besitzen, sondern auch wichtige Themen transportieren, wie die Exponate des Altenkunstadters Ernst Müller, der sich selbst als „Holzformer“ bezeichnet. Er beschäftigte sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema „Flucht“. Diesen Titel trägt auch seine imposante Skulptur, die er dem Gymnasium Burgkunstadt als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt hat und die fortan in der Aula stehen wird, „um das Thema Flucht wachzuhalten“. Den Kontakt zwischen Schule und Künstler hat die Integrationslotsin des Landratsamtes Lichtenfels, Frau Karin Pfeiffer, hergestellt, die auch bei der Vernissage zugegen war.

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In Anwesenheit einiger Ehrengäste sowie der Schülerinnen und Schüler der Klassen 9d+ und 9e+ stellte Ernst Müller nach den Begrüßungsworten der Schulleiterin Lydia Münch seine Skulptur sowie einige seiner aus Holz gefertigten Reliefs vor, die in den nächsten Wochen in der Aula des Gymnasiums ausgestellt werden.

Bei „Chaos“ und „Zuflucht“ handelt es sich um zwei Werke, die thematisch eng miteinander verknüpft sind. Insbesondere Menschen, die aus Kriegsgebieten fliehen, hoffen auf einen Zufluchtsort. Laut Müller gibt es „derzeit weltweit mehr als 300 Kriegssituationen und bewaffnete Konflikte. Auch wenn uns das Geschehen in der Ukraine sehr nahegeht, sollten wir das nicht aus den Augen verlieren.“ Ähnlich äußerte er sich bei den Ausführungen zu seinen „Boatpeople“, die in Anlehnung an das tragische Schicksal des ertrunkenen Flüchtlingskindes, das vor sieben Jahren um die Welt ging, entstanden ist. Auch diese Bilder der über das Mittelmeer Flüchtenden sind im Moment aus den Medien verschwunden, doch täglich nehmen viele Menschen in der Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit und Frieden diesen lebensgefährlichen Weg auf sich. Passend dazu hat Ernst Müller die Reliefs „Flucht durch ein Meer aus Tränen“ und „Der Fliehende“ geschaffen, die symbolisch für das Leid aller Flüchtlinge stehen. Sein Werk „Aleppo“ soll den Kampf um die Stadt zeigen, die zur Ruine und zum Massengrab tausender Syrer und somit zum Symbol des blutigen Konflikts in Syrien geworden ist. Erst kürzlich ist „Why“ entstanden, die die immerwährende Frage nach dem Warum thematisiert.

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Ernst Müller ist nicht nur aufgrund seines Engagements im Café DIALOG in Burgkunstadt in engem Kontakt mit Geflüchteten, sondern ist auch privat damit konfrontiert. So musste seine Familie vor seiner Zeit aus Bosnien fliehen. Während seiner Arbeit an der Skulptur „Flucht“ fiel ihm auf, dass er unbewusst diese Geschichte verarbeitet hatte, als er erkannte, dass die Personenkonstellation seiner eigenen geflohenen Familie entsprach. Auch die aktuelle Situation mit Flüchtlingen aus der Ukraine erlebt er selbst hautnah, da er und seine Frau zwei ukrainischen Müttern und deren Kindern eine Wohnung zur Verfügung gestellt haben und ihnen bei sämtlichen bürokratischen Hürden tatkräftig unter die Arme greifen.

Sehr eindringliche Einblicke in die Problematik bot anschließend der Journalist und Fotograf Till Mayer, der auf seinen zahlreichen Reisen in Kriegsgebiete die Schicksale vieler Menschen mit seiner Kamera und seinen Interviews dokumentiert hat. Insbesondere die Ukraine, die er seit vielen Jahren bereist und dort auch viele Freundschaften geschlossen hat, ist dem OT-Redakteur ein Herzensprojekt. Dies wurde besonders deutlich, als er von einem guten Freund berichtete, dessen Eltern, die in Butscha bei Kiew gelebt hatten, er mit nach Lichtenfels genommen hatte, damit der Vater hier medizinisch versorgt werden konnte.

Doch obwohl die beiden sehr herzlich aufgenommen worden waren, war ihr Heimweh nach der Ukraine so groß, dass Mayer sie auf seiner nächsten Reise, von der er erst vor drei Wochen zurückkehrte, wieder zurückbrachte. Bald wird er sich erneut dorthin auf den Weg machen.

Er berichtete in seinem Bildervortrag auch von einem Schullandheim im Westen der Ukraine, in dem erst kurz vorher rund 100 geflüchtete Kinder untergebracht worden waren. Von der bedrückenden Stille, die in der Einrichtung herrschte. Dem ernsten, erwachsen wirkenden Gesicht eines Mädchens sind die Schrecken des Erlebten deutlich anzusehen. „Die Folgen der Flucht sind tiefe seelische Wunden der Betroffenen, die oft ein Leben lang nicht heilen“, so Mayer. „Niemand verlässt seine Heimat leichtfertig, sondern hat dafür triftige Gründe.“ Die Auswirkungen der Flüchtlingsbewegung in der Ukraine sind deutlich sichtbar. In umkämpften Orten fliehen oft gerade die jüngeren Menschen. Seniorinnen und Senioren, denen die Flucht zu beschwerlich ist, bleiben oft zurück.

„Doch trotz dieses so präsenten Leids ganz in unserer Nähe dürfen wir die anderen Kriege auf der Welt nicht vergessen“, mahnte der Journalist und leitete mit einem Foto, das einen Mann an Krücken zeigte, zu Afghanistan über. In diesem Land herrscht seit Jahrzehnten Krieg. Weitere Fotos von Geflüchteten aus der Zentralafrikanischen Republik und dem Irak folgten und machten den Schülern und allen anderen Anwesenden die schrecklichen Gründe für Flucht bewusst.

Schulleiterin Münch bedankte sich herzlich für die Ausführungen des Künstlers und des Fotografen und berichtete von der Willkommensklasse am Gymnasium Burgkunstadt mit zehn ukrainischen Schülern, für die drei Lehrkräfte angestellt werden konnten, darunter eine Mutter, die selbst vor einigen Wochen mit ihren Kindern aus der Ukraine geflohen ist. Anschließend bot sich die Möglichkeit, die Exponate eingehend zu betrachten.

Gabriele Görlich

Untertitel Gruppenbild:

Die Skulptur „Flucht“, die in Zusammenarbeit mit einem afghanischen Geflüchteten entstanden ist und ein weinendes Auge zeigt, dessen Tränen einen Fluss bilden, durch das eine flüchtende Familie watet. (v.l.: Schulleiterin Lydia Münch, Künstler Ernst Müller, „Schule-ohne-Rassismus“-Pate Till Mayer)

Untertitel Ernst Müller:

Ernst Müller im Gespräch mit interessierten Schülern vor seinen Reliefs „Chaos“ und „Zuflucht“.

Dank aus Lwiw

Ein herzlicher Dank für die Spenden geht vom Medico-sozialen Zentrum in Lwiw an die Schulfamilie des Gymnasiums Burgkunstadt.

Дякуємо.

З сердечним привітом зі Львова

-колектив МСЦ

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Bilder aus dem Krieg

Till Mayer hat in Lwiw ein Rotkreuz-Projekt für bedürftige alte Menschen mit aufgebaut, dass seit vielen Jahren auch durch die HMS-Sonderaktion Unterstützung erfährt. Gerade erst ist der Journalist von einem dreiwöchigen Einsatz aus der Ukraine zurückgekehrt. Er berichtete für das Obermain-Tagblatt, die Main-Post sowie die Augsburger Allgemeine und weitere Titel der Pressedruck über den Krieg in dem osteuropäischen Land.Spendenübergabe 2

Der OT-Redakteur zeigte den Schülern beider Schulen in zwei Vorträgen sehr authentisch die verzweifelte Lage der Menschen in den ukrainischen Kriegsgebieten auf. Er erinnerte daran, dass bereits seit 2014 im Osten der Ukraine Krieg geführt wird. Mayer gehörte zu den wenigen Journalisten aus Deutschland, die über diesen bis vor kurzem weitgehend in den Medien vergessenen Krieg regelmäßig berichteten. „Dass die Annektion der Krim durch Russland und der Krieg im Osten der Ukraine so wenig Konsequenzen für Putin hatte, war ein großer Fehler. Dafür müssen die Ukrainer jetzt einen hohen Preis zahlen“, erklärte der OT-Redakteur.

Durch zahlreiche Ukraine-Reisen in den vergangenen Jahren konnte Mayer ein großes Netzwerk an Kontakten und freundschaftlichen Verbindungen aufbauen. Er erzählte darüber, was die Menschen nun seit der Invasion im ganzen Land erleiden müssen. Den Schülern hatte er Bilder von einer zerstörten Schule und zerbombten Wohngebäuden mitgebracht. Aufnahmen zeigten dunkle Rauchwolken nach Raketeneinschlägen. Aber auch von Nächten in Luftschutzkellern in Kiew und Schytomyr erzählten die Fotos und der Journalist. Er begegnete Menschen, die in letzter Minute fliehen konnten und oft vorerst alles verloren haben.

Während seines Vortrags gelang es Mayer immer wieder, den Bezug zu den Schülern herzustellen. Er verwies auf die vielen Kinder und Jugendlichen in der Ukraine, die an den traumatischen Erlebnissen wohl ein Leben lang leiden müssen. Junge Ukrainer, manche sind nur wenige Jahre älter viele der anwesenden Schüler, melden sich freiwillig, um ihre Heimat zu verteidigen.

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Mayer berichtete von dem Mut vieler Ukrainer und Ukrainerinnen, die sich oft als Helfende in dieser schweren Situation engagieren. Obwohl sie selber gerade ihr Zuhause verloren haben. „Eines hatten alle Menschen, die ich traf, gemeinsam. Seit dem 24. Februar ist für sie nichts mehr, wie es war. Ihr Leben ist völlig auf den Kopf gestellt.“ Gemeinsam würden sie der russischen Invasion und ihren traumatisierenden Folgen tapfer die Stirn bieten.“

Till Mayer machte klar, dass es nicht sein darf, dass russische-stämmige Menschen nun pauschal als Putin-Fans verurteilt werden. „Mobbing geht gar nicht“, so der Journalist. Aber er erklärte auch, dass man den Lügen der russischen Propaganda widersprechen müsse. „Wir haben einen Krieg in der Ukraine. Dort sterben unschuldige Frauen, Kinder und Männer. Fast im ganzen Land schlagen Raketen ein, werden Häuser und Leben zerstört. Dieser Krieg wurde der Ukraine aufgezwungen. Es gibt keine Rechtfertigung für ihn.“

Es sei wichtig, sich für die Wahrheit einzusetzen. Ohne Wahrheit gebe es auch keinen Frieden. „Die Menschen in der Ukraine verteidigen ihre Demokratie. Sie verteidigen das Recht, ihren Weg selbst zu bestimmen. Sie kämpfen gegen eine Diktatur. Zeigt euch solidarisch mit ihnen.“

Sein Vortrag und die eindrucksvollen Fotos gingen Schülern und Lehrern gleichermaßen unter die Haut und machten diese sprachlos. In der Nachbesprechung bemerkte eine Schülerin treffend, dass es doch etwas ganz anderes ist, wenn jemand vor einem steht und über die Schrecken dieses Krieges direkt berichten kann, als wenn die Informationen nur aus den Medien stammen. Dies unterstreicht eindrucksvoll die Wichtigkeit von Mayers gefährlicher Arbeit.

Im Anschluss an die Vorträge überreichten Schülersprecher und Schülerinnen der „Schule ohne Rassismus“-Gruppe der beiden Schulen Spendengelder in Höhe von 5100 Euro für die HMS-Sonderaktion „Ukraine“. Diese beeindruckende Spendensumme kam in nur einer Woche durch die Schülerinnen und Schüler, deren Eltern und die Lehrerkollegien zusammen und zeigt deren große Hilfsbereitschaft für die betroffenen Menschen.

Mit dem Geld werden Medikamenten für alleinstehende, chronisch kranke und mittellose alte Menschen in Lwiw gekauft, sowie die Gehälter der Rotkreuz-Schwestern finanziert, die sie versorgen. Auch Lebensmittel werden verteilt. Weiter wird ein Medico-Soziales-Zentrum unterstützt, das Anlaufstelle für Rentnerinnen und Rentner ist. Dort ist auch die Station der Schwestern.

„Meist haben die alten Menschen kaum 75 Euro Rente im Monat und keine Krankenversicherung. Gut die Hälfte der mageren Rente fressen die hohen Energiekosten. Zudem sind die Preise für Lebensmittel durch den Krieg stark gestiegen. Eure Hilfe ist wichtig, auch um langfristig unterstützen zu können. Angedacht ist, sogar die Hilfen zu erweitern. Vielen, vielen Dank“, erklärte Till Mayer. Ein kleiner Film zeigte den Jugendlichen eine Klientin der der Hilfsaktion.

Die beiden Schulleiterinnen Lydia Münch (Gymnasium) und Monika Geiger (Realschule) sowie die betreuenden Lehrkräfte der Spendenaktion Gabriele Görlich und Thomas Schaller bedankten sich herzlich bei Till Mayer für seinen Besuch, seinen Einsatz und die bewegenden Worte.

Bereits in der Vergangenheit bereicherten Vorträge und Ausstellungen und das großartige Engagement Mayers die pädagogische Arbeit an den beiden Schulen. Am Gymnasium Burgkunstadt ist Mayer zudem Schulpate von „Schule ohne Rassismus.“

Thomas Schaller/Redaktion OT

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