Reicht es, kein Rassist zu sein?
OT-Redakteur Till Mayer diskutiert als „Schule ohne Rassismus“-Pate mit Burgkunstadter Gymnasiasten. Er berichtet den Jugendlichen von der Benachteiligung von Roma in Osteuropa.
Zusammen mit dem neuen „Schule ohne Rassismus“-Paten des Gymnasiums Burgkunstadt, Till Mayer, diskutierten die Klasse 10c und die Schülerinnen des Wahlkurses „Schule ohne Rassismus“ darüber, was Rassismus ist, wann er beginnt und wie man ihm entgegentreten kann.
„Wo es Rassismus gibt, gibt es keinen Frieden. Das habe ich auf meinen Reisen gelernt.“ Mit diesen Worten begann Till Mayer, Redakteur des OT, seinen einleitenden Vortrag. Als Journalist und Fotograf berichtet er seit vielen Jahren zudem regelmäßig aus Kriegs- und Krisengebieten. In Burgkunstadt stellte er die größte ethnische Minderheit Europas, die Roma, in den Mittelpunkt. Roma und Sinti sind seit Jahrhunderten Rassismus ausgesetzt.
Die Jugendlichen hatten bislang wenig über die Roma und Sinti gehört und lauschten gespannt, aber auch betreten den Ausführungen Till Mayers, der zunächst Fotos von Naziaufmärschen aus Varnsdorf, einer tschechischen Kleinstadt nahe der deutschen Grenze, zeigte. Rechte stellten dort deutlich ihren Hass gegenüber Roma-Familien zur Schau, die in einem schäbigen Gebäude am Ortsrand, dem ehemaligen Hotel „Sport“, untergebracht waren.
Der Hintergrund für die Hass-Demos war eine tätliche Auseinandersetzung mit einer Machete in einer Kneipe zwischen Roma und einem Gast. Die Kneipe befand sich nicht einmal in Varnsdorf. Und keiner der Bewohner des Hotels „Sport“ hatte irgendetwas mit dem Vorfall zu tun. Doch geschickt nutzen Rassisten die Tat, um Hass in Varnsdorf anzufachen. Teilweise bis zu 1000 Demonstranten drohten den Roma-Familien im Hotel „Sport“ regelmäßig mit Hassparolen. Polizei musste die Roma vor Gewalt schützen. Neben den üblichen Anhängern rechtsradikaler Parteien waren auch Varnsdorfer unter den Demonstranten. Während Rechtsradikale schrien, „Die Roma ins Gas“, sahen sie sich als vermeintliche Opfer eines „Schwarzen Rassismus“.
Den Schülerinnen und Schülern war die Geschichte der Benachteiligung, die auch in Deutschland bis ins Heute reicht, kaum bekannt. Till Mayer erklärte, dass Roma und Sinti in der Vergangenheit nie eine echte Chance bekommen hätten. Bereits im Mittelalter war es ihnen nicht möglich, zum Beispiel in Zünfte zu kommen. Lediglich als Kesselflicker, Schausteller, Tagelöhner und Scherenschleifer waren sie geduldet.
Die Benachteiligung der Roma und Sinti ist bis heute geblieben. Selbst um das Gedenken müssen sie kämpfen. Davon berichtet auch das Geschehen um die Gedenkstätte für Opfer des Konzentrationslagers im tschechischen Lety deutlich. Auf dem Areal beziehungsweise in der Nachbarschaft des ehemaligen KZs, das als reines „Zigeunerlager“ gegolten hatte, war nach dem Krieg eine Schweinemastanlage errichtet worden. Der Gestank machte ein würdevolles Gedenken weitgehend unmöglich. Als Till Mayer diesen Ort besuchte, gab es zumindest ein einfaches Mahnmal auf dem ehemaligen Lagergelände. Nach jahrelangen Protesten durch Roma und Bürgerrechtler kaufte der tschechische Staat den nahen Mastbetrieb und legte ihn still. Bis zum Jahr 2023 soll nach langem Kampf nun eine würdige Gedenkstätte entstehen.
Der Journalist berichtete noch über weitere, die Schülerinnen und Schüler teilweise verstörende Begebenheiten, beispielsweise über die Zwangssterilisation von Roma-Frauen in der kommunistischen Tschechoslowakei. Aber auch nach der Wende gab es weitere Fälle. In Orbàns Ungarn kam es zu Segregation an Schulen. „Roma-Kinder wurden in vermeintliche Förderklassen geschickt. Bürgerrechtler und betroffene Roma-Familien bezweifeln jedoch das Ziel einer Förderung. Stattdessen wurden Roma-Kinder abgesondert und abgeschoben.“
Doch was ist Rassismus? Hat ihn nicht jeder von uns irgendwo im Kopf? Dieser Frage ging Till Mayer im Folgenden mit den Jugendlichen auf den Grund, indem er Gründe sammeln ließ, weshalb Menschen überhaupt diskriminiert werden. Es wurden die Hautfarbe, die Herkunft, die Religion oder die sexuelle Orientierung genannt.
Mit provokanten Äußerungen wie „Man wird doch mal einen Witz machen dürfen?“ versuchte er die Schülerinnen und Schüler aus der Reserve zu locken. Ob sie etwas dagegen sagen würden, wenn jemand in ihrem Umfeld einen solchen Witz machen würde, beantworteten sie zunächst ein wenig zurückhaltend. Es käme auf den Zusammenhang an, auf die Art des Witzes, es sollten keine Grenzen überschritten werden. Doch wo ist hier die Grenze? Im Lauf des sich daraus entwickelnden Gesprächs wurden die Jugendlichen immer sensibler für die Thematik und kamen zu dem Schluss, dass jede Art von Ausgrenzung bereits Rassismus ist. Doch wie kann man diesem begegnen? Reicht es aus, kein Rassist zu sein? Till Mayer meint nein. Die Schüler sahen einen kurzen Film des jamaikanischen Schriftstellers Marlon James, in dem deutlich wurde, dass es wichtig ist, nicht einfach gegen Diskriminierung zu sein, sondern aktiv einzuschreiten. „Anti-Rassismus, das heißt aktiv zu handeln. Etwas zu sagen, wenn zum Beispiel ein Kumpel einen Witz macht, der einfach nicht mehr okay ist. Man muss Rassisten ihre Grenzen zeigen. Deswegen gehört zu einer Schule ohne Rassismus ja auch die Courage mit dazu“, so der OT-Redakteur.
Zuletzt kam die Rede auf ein brisantes Thema: den Corona-Impfstatus. „Ist es rassistisch, Menschen, die nicht geimpft sind, auszugrenzen?“, das fragten mehrere Jugendliche. Schnell war man sich einig, dass es stets wichtig ist, Andersdenkende korrekt und würdevoll zu behandeln, aber dass in diesem Fall nicht von Rassismus gesprochen werden könne. Impfgegner gefährden die Gesundheit anderer Menschen durch ihr Verhalten. „Hätten wir eine höhere Impfquote, wären die Covid-Intensivstationen nicht so voll. Dann müssten keine anderen Operationen deswegen verschoben werden, weniger Menschen sterben. Fakt ist, weniger als 30 Prozent der Bevölkerung, also Ungeimpfte, stellen das ganz deutliche Gros der Patienten auf den Covid-Intensivstationen.“ Ein Schüler erklärte, dass ein indirekter Impfzwang die Menschen in ihren Grundrechten einschränken würde. Till Mayer konterte: „Einschränkungen sind für ein Zusammenleben notwendig. Innerorts gibt es zum Beispiel Tempolimits. Sie schränken den Autofahrer ein. Aber sie schützen das Leben von Kindern und Passanten. Die eigene Freiheit endet eben da, wo andere darunter leiden oder gefährdet sind.“
Als Konventionsbeauftragter des BRK-Kreisverbandes Lichtenfels hatte Till Mayer kostenlose Exemplare des Bildbandes „Dunkle Reisen“ mitgebracht. So manche Reportage darin erzählt etwas über Rassismus. Was passiert, wenn er überhandnimmt: Gewalt, Krieg und Zerstörung sind die Folgen.
Gabriele Görlich